Altherrenwitze alter weisser Männer

Heute wird es selbstreferentiell, denn Sven und Daniel laden mich ins radioeins-Studio ein, um mit ihnen über Altherrenwitze zu reden…

Das ganze „2 auf eins“-Interview könnt ihr hier nachhören:

Aufhänger war der Fall „Weco“. Dort fanden viele Nutzer der kinderfreundlichen Knallbonbons letztes Silvester Witzchen, die recht frauenfeindlich waren. Viele Twitter-User, darunter auch Jan Delay, posteten entrüstet die Sprüche:

Feuerwerkshersteller Weco entschuldigte sich umgehend – da Feuerwerk kein Ablaufdatum habe, seien hier offensichtlich Restchargen von vor Jahren in den Verkauf gekommen. Schon vor 5 Jahren sei man sich dieses Problems bewusst geworden und habe die Witze entsprechend angepasst.

„Altherrenwitze“ nannte man so etwas früher einmal – und da schwang auch schon die naserümpfende Distanzierung mit. „Reaktionär“ war ein anderer, gern genutzter Begriff dafür. Heute sind die Altherren aber „alte, weisse Männer“. Doch woher kommt dieser Begriff eigentlich?

Die NZZ forschte nach und fand erste Belege bereits Anfang der 90er Jahre in den USA:

«Ich habe es satt, dass alte weisse Männer den Schwarzen vorschreiben, was sie tun dürfen», sagte ein schwarzer Konzertbesucher in Georgia 1990 einem Reporter über das Verbot von anstössigen Rap-Texten. Und eine Pflegefachfrau in einer Abtreibungsklinik in Texas ärgerte sich 1991 über alte, weisse Männer, die jungen Frauen das Recht absprachen, über ihren Körper zu bestimmen.

1998 beschimpfte dann die Feministin Betty Friedan die Republikaner als einen «Haufen dreckiger, alter weisser Männer», da diese ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Clinton vorbereiteten.

Es dauerte dann ziemlich, bis der Begriff in Deutschland auftauchte: Die damalige Bundesministerin Ursula von der Leyen bezeichnete 2012 die schwächelnde deutsche Wirtschaft als «old white man».

2021 schaffte es der alte weisse Mann dann auf das Spiegel-Cover und ist spätestens seitdem als Beschimpfung salonfähig. Der „alte weisse Mann“ ist in Mode und der Sündenbock schlechthin, nicht nur für unangemessenes Verhalten Frauen gegenüber, sondern für jegliches politisches Fehlverhalten.

Wo liegt denn nun das Problem?

Es sind die Männer, die wie Sven, Daniel und ich in den 60er/Anfang der 70er geboren wurden, die nun an den kleinen und grossen Hebeln der Macht sitzen. Aus Sicht der jungen Menschen, die dort nicht sitzen, sind wir alt. Und es sind nach wie vor viel zu wenig Frauen, was auch daran liegt, dass es Männern zu unseren Schul-, Uni- und Berufsstartjahren von Männern wesentlich leichter gemacht wurde als Frauen. Wir hatten weniger Widerstände, mussten weniger kämpfen, hatten es viel einfacher.

Und das führte nun zu dem Umstand, dass überall, wo heute etwas entschieden wird, nur wenige Frauen, wenige junge Menschen, und wenige Menschen mit nichtweisser Hautfarbe anzutreffen sind. Der „alte weisse Mann“ ist also zunächst einmal ein Sammelbegriff, um die Ungleichheit in der Zusammensetzung einflussreicher Positionen auszudrücken.

So wie es damals von Vorteil war, männlich zu sein und durchaus auch privilegiert, so profitieren wir heute noch von diesen Vorteilen. Die Bezeichnung „alter weisser Mann“ zwingt uns zurecht dazu, über unsere Blindheit für diese Ungleichheit und ebendiese Vorteile nachzudenken – und darüber, wie wir sie abgeben können und müssen.

Aber alte weisse Männer wären ja bekloppt, wenn sie das tun würden, oder? Da ist es einfacher, die Andersdenkenden als woke zu beschimpfen: „Mia san mia!“

Und so ist es für die Werbung auch durchaus attraktiv, diese Zielgruppe anzuvisieren, denn sie ist sehr groß. Es leben in den 4 Millionenstädten Deutschlands zusammen knapp acht Millionen Menschen, gut 10% der deutschen Gesamtbevölkerung. Diese sind in der Regel deutlich jünger und diverser eingestellt als der Rest der Republik. Söder hat zumindest dahingehend recht, dass das, was in Berlin diskutiert und gelebt wird, nicht repräsentativ für Deutschland ist. Und selbst wenn von den 40 Millionen deutschen Männern 4 Millionen Männer ihr Selbstbild kritisch betrachten, dann bleiben immer noch überwältigende 36 Millionen, die gar nicht daran denken, etwas ändern zu wollen.

Und auf die kann man natürlich marketingtechnisch setzen, wenn man keine Angst vor dem Sturm in der Twitter-Bubble hat.

Die meisten Agenturen sitzen aber in den Großstädten, und die Menschen, die dort arbeiten, sind eher jung und fabrizieren dann Spots wie diesen hier:

Clever?


Ich glaube, wir müssen mal ganz dringend einen Gang zurückschalten. Wir müssen miteinander reden und uns dabei auch zuhören, wir müssen altes Verhalten überdenken und neues Verhalten probieren. Wir müssen die anderen zu Wort kommen lassen und nicht gleich alles niederbrüllen, was anders ist. Und das gilt übrigens für beide Seiten.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..